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Kudos an alle Scrum Master


Die (un)glückliche Rolle des Scrum Masters


Scrum ist die am meisten verbreitete, agile Methode zur Entwicklung von komplexen Produkten. Ein wesentliches Element im Scrum-Prozess ist die Rolle des Scrum Masters, welche dafür verantwortlich ist, das Scrum überhaupt funktioniert. Meine eigenen Studienergebnisse haben gezeigt, dass Scrum Master im Schnitt zufriedener und motivierter sind als andere Rollen (Product Owner, Entwickler*In) im klassischen Scrum Team. Auch wenn ich wissenschaftlich noch keine Antworten für die Unterschiede gefunden habe, bin ich mir sicher, dass die Vielseitigkeit der Aufgaben und der herausfordernde Charakter der Scrum Master-Rolle zu den Hauptgründen gehören. Allein im Scrum Guide (Schwaber & Sutherland, 2020) sind bereits 12 verschiedene Dienste aufgelistet, die der Scrum Master erfüllen sollte. Zunächst ist der Scrum Master dafür verantwortlich, das Scrum eingeführt und gelebt wird. Er coached das Team in Selbstmanagement und Crossfunktionalität, hilft bei der Fokussierung des Teams und bei der Beseitigung von Hindernissen, und kümmert sich darum, dass alle Scrum-Events richtig stattfinden. In vielen Unternehmen ist es gängige Praxis, dass der Scrum Master bei allen Meetings dabei ist, diese moderiert und ebenfalls vor- und nachbereitet. Zudem hilft der Scrum Master dem Product Owner bei der Produktzieldefinition und dem Produkt Backlog Management und koordiniert die Zusammenarbeit mit anderen Stakeholdern. Auch auf Organisationsebene kommen dem Scrum Master weitere Tätigkeiten zu, insbesondere die Unterstützung sowie das Training und Coaching im Rahmen der agilen Transformation. Nachfolgend sind die vielen verschiedenen Rollen des idealen Scrum Masters zusammengefasst. Ein richtiger Allrounder.



Rollen eines idealen Scrum Masters


Realität der Scrum Masterei


Eine sehr spannende Rolle, daran gibt es sicher keine Zweifel. Doch die Frage ist, ob es diese Persönlichkeiten, die all diese Rollen perfekt ausfüllen können, überhaupt gibt. Wenn man sich Stellenausschreibungen für Scrum Master anschaut, dann wird einem das Problem vielleicht etwas klarer. Unternehmen suchen natürlich den idealen Scrum Master, d.h. die eierlegende Wollmilchsau. Die gesuchte Person soll Scrum Experte*In sein und mehrere Jahre Erfahrung in agilem Arbeiten haben. Zudem soll sie Erfahrung in Teamentwicklung, Mediation und Change-Management mitbringen, bestenfalls eine systemische Coaching-Ausbildung absolviert haben. Nicht zuletzt ist ein Software-Hintergrund gewünscht, denn die Person soll ja auch etwas davon verstehen, wovon das Team den ganzen Tag spricht. Mal ehrlich - wer in den Stellenanzeigen gesucht wird, ist eine Person, die bereits viele, viele Jahre als Scrum Master gearbeitet hat. Dass es diese Personen auf dem Markt kaum gibt, sieht man an den unendlich vielen und immer wiederkehrenden Stellenanzeigen für Scrum Master. Es scheint Schwierigkeiten zu geben, die perfekten Kandidaten*Innen zu finden. Das ist nicht überraschend, denn wenn man bei LinkedIn „Scrum Master Deutschland“ eingibt, dann kommen 54 000 (!) Treffer. Da der Beruf des Scrum Masters ein so neues Feld ist, ist es unmöglich, dass wir in Deutschland so viele ausgebildete Scrum Master mit mehrjähriger Berufserfahrung in genau diesem Feld zur Verfügung haben.


Wurden einmal die richtigen Kandidaten gefunden, hört das Problem der Anforderungserfüllung nicht auf. Von dem neuen Scrum Master, der mit Sicherheit nicht alle Kriterien zu 100% erfüllt, wird nun verlangt, die Rolle des idealen Scrum Masters, wie sie im Buche geschrieben steht, auszufüllen. Auch ein Scrum Master selbst entwickelt sehr hohe Erwartungen an sich und seine eigene Arbeit, da er ja als Experte*In genau weiß, wie er seiner Rolle nachgehen sollte. Doch leider wird häufig übersehen, dass der Kontext in der Realität nicht immer perfekt ist. Ich habe Interviews mit verschiedenen Scrum Mastern durchgeführt und erschreckende Beispiele erfahren. Führungskräfte delegieren weiterhin Aufgaben an Teams, sodass Selbstorganisation nur eine Farce ist. Scrum Master laufen im Kundenprojekt unter dem Radar, da ihr Mehrwert dem Kunden schlecht verkauft werden kann. Und Nachbarteams möchten nichts von Agilität hören und organisieren sich weiterhin streng hierarchisch. In diesen realen Kontexten ist es nicht verwunderlich, dass der ein oder andere Scrum Master das Gefühl hat, seiner Rolle nicht gerecht zu werden oder sogar an seinen eigenen Kompetenzen zweifelt.


Die Verantwortung eines Scrum Masters


Die Rolle eines Scrum Masters hat sehr viel mit Führung zu tun. Nicht selten wird in der Realität der Scrum Master zum Teamleiter ohne personelle Verantwortung. Er sagt dem Product Owner, wie er seine Arbeit am besten machen soll, koordiniert das Team, die Stakeholder und die Meetings, und weiß zu allen Problemen und Konflikten Rat. Im besten Fall muss sich das Team um nichts mehr kümmern und kann sich voll und ganz auf die Entwicklung der einzelnen Backlog Items konzentrieren. Doch auch dieses Beispiel zeigt, dass die Rolle zum Teil missverstanden wird, denn es wird ein entscheidendes, agiles Element übersehen - Selbstorganisation und Selbstmanagement der Teams. Wenn ein Scrum Master alle Aufgaben vom Team abnimmt und diese sorglos sind und sich um nichts kümmern müssen, dann wird Selbstorganisation nicht gefördert. Dann wird ein System geschaffen, in welchem Prozessverantwortung nicht mehr an die Führungskraft, sondern nun an den Scrum Master abgegeben wird. Servant Leadership (Dienende Führung) bedeutet nicht, ALLES abnehmen. Es bedeutet, gezielt zu unterstützen, wo Hilfe gebraucht wird, für einen guten Rahmen sorgen und gemeinsam mit dem Team Lösungen erarbeiten. Eine Coachee erzählte mir in einer Coaching-Stunde, wie sie nicht mehr weiterweiß. Sie möchte die Leistung und Zusammenarbeit ihres Teams noch weiter verbessern und die Selbstorganisation des Teams fördern. Sie hat bereits viele Einzelcoachings und Teamworkshops durchgeführt und hilft dem Team in allen Belangen. Auf meine Nachfrage hin berichtet sie, dass das Team sehr glücklich und zufrieden mit ihr ist. Gemeinsam haben wir erarbeitet, dass so, wie sie momentan die Rolle als Scrum Master ausfüllt, Selbstorganisation im Team eher hindert als fördert. Indem sie alle Herausforderungen dem Team abgenommen hat und zur Feel Good Managerin wurde, ist sie ohne böse Absicht zu einer Bremse der Selbstorganisation geworden. Manchmal ist weniger mehr. Wir haben gemeinsam an ihrem Rollenverständnis als Scrum Master gearbeitet. Auch wenn es manchmal schwer ist zu akzeptieren, nur Begleiter und Unterstützer zu sein und die anderen machen zu lassen, ist das genau die Verantwortung der Rolle Scrum Master.


Scrum Master dürfen nicht auf der Strecke bleiben


Obwohl der Scrum Master so einer komplexen Tätigkeit nachgeht, unterschiedliche Rollen wahrnimmt und den Erfolg des Prozesses mitverantwortet, wird er in vielen Unternehmen nicht gerecht für seine Aufwände entlohnt. Begründet wird es damit, dass der Scrum Master ja keine eigentliche Arbeit am Produkt leistet. Wenn Unternehmen ein solches Verständnis haben, haben sie agiles Arbeiten nicht verstanden und sollten es lieber lassen. Doch auch wenn die Entlohnung stimmt, passiert es nicht selten, dass Scrum Master trotzdem auf der Strecke bleiben, insbesondere beim Thema Weiterentwicklung und Karrierechancen. Unternehmen müssen sich Gedanken machen, wie sie ihre Scrum Master langfristig auch halten können. Es werden unglückliche Versuche gestartet, Hierarchien innerhalb des Scrum Master-Teams einzuführen. Dann gibt es Junior und Senior Scrum Master und Junior und Senior Agile Coaches. Ein Senior hat selbstverständlich mehr zu sagen als ein Junior. Auch hier stelle ich mir wieder die Frage, was an agilem Arbeiten da verstanden bzw. nicht verstanden wurde.


Liebe Unternehmen, es geht nicht um den nächstenbesseren Titel. Fördert eure Scrum Master in ihrer persönlichen Entwicklung, findet heraus, was sie noch im Leben erreichen wollen, und zeigt auch Möglichkeiten innerhalb des Unternehmens auf. Scrum Master sind so vielseitig talentiert, dass sie auch vielseitig eingesetzt werden können. Wichtig ist, sie nicht außen vor zu lassen und Scrum Master-Positionen als Dead End-Positionen zu gestalten, sondern davon auszugehen, dass trotz der erfüllten Rolle auch irgendwann etwas Neues erwünscht wird. Ungefähr 70% deutscher Unternehmen haben in den letzten Jahren agiles Arbeiten ganz oder zum Teil eingeführt. Scrum Master ist ein Berufsbild der Zukunft, immer mehr werden gebraucht. Deshalb müssen die Stellen noch attraktiver gemacht werden und die Erwartungen (auch in den Ausschreibungen) realistischer gestaltet werden. Jeder Scrum Master-Persönlichkeit darf eine andere Stärke mitbringen. Gestalten Sie das Scrum Master-Team so, dass Sie Diversität in das Team bringen: Scrum Master mit einem Software-Hintergrund, Scrum Master als agile Experten und Scrum Master, die ein Studium in Psychologie, Pädagogik oder Ähnlichem absolviert haben. Verabschieden Sie sich von dem Gedanken, voll ausgebildete Scrum Master auf dem Markt zu finden. Durch die Diversität wird Erfahrungsaustausch, gemeinsames Lernen und Weiterentwicklung möglich. Investieren Sie zudem in die Weiterbildung Ihrer Scrum Master. Und das bedeutet eben nicht nur, agile Zertifikate abzufordern, sondern insbesondere auch Weiterbildung in zwischenmenschlichen, psychologischen Themen, in Teamentwicklung und Coaching, in Konfliktmoderation und Workshop-Gestaltung.


Kudos an alle Scrum Master


Liebe Scrum Master, haltet durch! Ihr macht einen großartigen Job! Scrum Master zu sein ist eine sehr verantwortungsvolle und herausfordernde Aufgabe mit einer hohen emotionalen Last. Denn es ist eine Aufgabe mit intensiven, täglichen, zwischenmenschlichen Erfahrungen im Team und mit Einzelpersonen. Diese Aufgaben können weder geplant werden noch perfekt (wie im Buche) ablaufen. Lasst euch nicht von möglichen Diskrepanzen zwischen idealer Welt und Realität oder zwischen den eigenen Kompetenzen und eigenen Erwartungen abschrecken. Kämpft für die agilen Ideale, aber vergesst dabei nicht, auf euch und eure eigenen Grenzen zu achten! Kudos!

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